Drei Fragen an...
Univ.-Prof. Simone De Angelis
Professor für Wissenschaftgeschichte
Warum ist Wissenschaftsgeschichte heute wichtig?
Unsere modernen Gesellschaften bauen vielfach auf den Erkenntnissen der (Natur-) Wissenschaften und der Technik auf. Zu verstehen, welche Entscheidungen in den letzten dreihundert Jahren in der Wissenschaft getroffen wurden, die uns heute noch betreffen, ist wichtig und bedarf der genauen Analyse vielfältiger Quellen sowie deren Kontextualisierung. Nehmen wir zum Beispiel das global warming: Viele Probleme, die damit verbunden sind, sind auch darauf zurückzuführen, dass im 19. und 20. Jahrhundert eine Trennung von Natur- und Menschheitsgeschichte bzw. von Wissenschaften der Natur und Wissenschaften vom Menschen vollzogen wurde, die uns jetzt auf die Füße fällt. In der Epoche der Aufklärung war längst klar, dass Phänomene wie das Klima, „Hyperobjekte“ sind, die uns umgeben, jedoch nicht gleichermaßen wahrnehmbar sind wie Tische oder Stühle. Alexander von Humboldt sprach davon, dass es für die Natur kein oben und unten gibt, und dass also Menschen, Tiere, Pflanzen etc. miteinander verknüpft sind.
Den Wissenschaften wird heute ein Problem mit der Glaubwürdigkeit vorgeworfen, wie zum Beispiel während der Sars Cov2 Pandemie oder im Zusammenhang mit der Klimadebatte. Welches Instrumentarium gibt die Wissenschaftsgeschichte an die Hand, um solche Situationen besser zu verstehen?
Glaubwürdigkeitsprobleme gab es in den Wissenschaften seit eh und je. Galileo wurde auch nicht von allen geglaubt, als er durchs Teleskop schaute und zeigte, dass die Mondoberfläche gebirgig war und neue Sterne und Kometen am Himmel zu sehen waren. Es gelang ihm zudem (noch) nicht zu beweisen, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Wissenschaftsprozesse können mitunter Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte andauern. Es ist eine falsche Vorstellung, zu glauben, die Wissenschaften würden nur Gewissheiten von sich geben. Eine Errungenschaft der „scientific revolution“ des 17. Jahrhunderts war, zwischen Evidenzgraden, d.h. zwischen gewissen, ungewissen oder auch nur probablen Aussagen zu unterscheiden. Oft arbeiten Naturwissenschaftler:innen mit mathematischen Modellen der Wirklichkeit, die an der Erfahrung getestet werden. Jedem/r ernst zu nehmenden Forscher:in ist klar, dass Wissenschaft partiell, vorübergehend, fallibel und revidierbar ist (sonst wäre es keine Wissenschaft!). Und dennoch gibt es gute Gründe, Expert:innen zu glauben.
Was ist Ihre persönliche Motivation, sich mit Wissenschaftsgeschichte zu beschäftigen?
Anders als in der angelsächsischen Welt kann man im deutschsprachigen Raum selten Wissenschaftsgeschichte an einer Universität direkt studieren. Schon während meines Studiums der Komparatistik beschäftigte ich mich mit wissenschaftlichen Texten des 18. Jahrhunderts, die oft auch auf Französisch, Englisch, Italienisch oder Latein verfasst waren. Ich habe durch Wissenschaftsgeschichte gelernt, dass die Dinge oft nicht so sind, wie sie erscheinen oder wie man über sie seit jeher denkt und urteilt. Wissenschaftsgeschichte ist interdisziplinär, wissensverknüpfend, erhellend, ernüchternd und es überrascht mich immer wieder, wie sie den Blick auf komplexe Wirklichkeiten von einst und heute öffnet.